Paläo-berberische Schrift
Alter Souk in Tinghir
Ksar Ait Yala
Palmhain mit Marabut
|
Ursprung
Die Niederlassung einer sesshaften Bevölkerung im
Todratal ist wohl mit dem Anbau der Dattelpalme verbunden, die anfangs des christlichen Zeitabschnittes aus dem mittleren
Orient eingeführt wurde. Man findet hier drei grundlegende Volkstypen: die erste Gruppe, zweifellos die älteste,
ist von dunkler Hautfarbe; die Zweite, zusammengesetzt aus den Imazighen oder "Berbern" hat weiße
Haut und zwang den Anderen Ihre Kultur und Sprache auf. Schließlich die Angehörigen der dritten Gruppe, die Juden,
kamen nach und nach ab dem 5.Jhdt ins Todratal und wenn sie auch die Berbersprache adoptiert haben, hielten sie an ihrer
monotheistische Religion fest.
Ab dem 8.Jhdt. ersetzte der Islam die Götzenverehrung,
hingegen setzte sich die arabische Kultur in dieser Region nur wenig durch und sogar das Gewohnheitsrecht wurde nur mit
Einflüssen aus dem Koran angewendet. Zu dieser Zeit war „Todra“ ein unabhängiges, sehr erfolgreiches
Fürstentum, das seine Wirtschaft auf die Landwirtschaft, den Karawanenhandel, die Ausbeutung von Silberminen und die,
von den Juden ausgeübten Arbeiten mit diesem Metall, stützte. So wendete sich auch Idris I im Jahre 788 an sie um
seine Münzen zu prägen. Zu dieser Zeit, seit 757, hatte das Fürstentum jedoch seine Unabhängigkeit
bereits ans Königreich Sijilmassa verloren.
Unter den Berber-Dynastien
In der Folge, im Jahre 1053, wurde Sijilmassa von den Almoraviden
erobert, kurz bevor sie das große Reich Marrakech mit der gleichnamigen Hauptstadt gründeten. „Todra“
blieb unter ihrer Herrschaft während eines Jahrhunderts, anschließend ging es in die Hände der Almohaden
über. Aus dieser Epoche stammt auch das Buch „Kitab el Ansab“, mit den ältesten Texten, wo die
Stämme nach Zone aufgeteilt, vermerkt sind. Unter ihnen findet man die Aït Todra, Aït Senan und Aït
Izdegh, alle heute noch im Tal anwesend.
Nach dem Niedergang des Almohaden-Reiches fiel die Region in die Hände
der Hafsiden von Kairouan und den Abdelouadiden von Tlemcen, bevor die Meriniden im Jahre 1274 die Macht übernahmen.
Diese konnten ihre Herrschaft bis 1331 aufrechterhalten, dann wurden sie durch das Vordringen der Beduinenstämme,
der Beni Maâquil, die von Ägypten herkamen, gezwungen aufzugeben. Diese arabischen Nomaden, zu welchen sich auch
viele arabisierte Berber gesellt hatten, ließen sich in den Tälern des Ziz und des Drâa nieder, unterwarfen
die Region Todra Ihrer Herrschaft, ohne ihnen aber ihre Kultur und Sprache aufzuzwingen.
Während seiner Durchreise in der Gegend im Jahre 1511 schreibt
Hassan Ibn El Ouazane (besser bekannt unter Léon l’Africain):
" Todra ist eine kleine Provinz am Fluss des gleichen Namens gelegen, wo reichlich Datteln, Trauben und Feigen gedeihen.
Sie hat vier Schlösser und zehn Dörfer und ist von armen Leuten bewohnt, die meisten von ihnen sind Landarbeiter,
Gerber oder Lederverarbeiter.“ Der Ausdruck „Schloss“ steht wahrscheinlich für Ksour
oder von einer Mauer umgebene kleine Städte und das Wort „Dörfer“ entspricht vermutlich den Douars, also
Gruppierungen von Zelten oder Hütten ohne Befestigung. Die vier Ksours werden nicht namentlich erwähnt, aber man kann
sich vorstellen, dass Tinghir einer davon war.
Unter den Saadiern und Alaouiten
Im Jahre 1537 wurde das Todratal von den Beni Saad, ein arabischer, im
Drâatal schon lange etablierter Stamm, erobert und die etwas später das Saadier-Reich gründeten.
Diese Dynastie erreichte ihre Blütezeit unter der Regierung von Ahmed El Mansour, allerdings fiel das
Saadier-Reich nach seinem Tod im Jahre 1603 in die Anarchie.
|
|
Ab diesem Moment tobten in der Region Todra und den anderen
Vorsaharatälern endlose Kämpfe zwischen den verschiedenen Anführern: dem Marabut Abou Mahali
von Sijilmassa († 1614), dem Moulay Ali Ech Cherif von der Zaouïa Semlalia aus Iligh (Anti-Atlas),
der Zaouïa Dila der Aït Ishak (Mittlerer Atlas), des Stammesverbundes der Ait Atta
aus dem Saghro-Gebiet, sowie eines neuen Stammesverbundes der Aït Yafelmane aus dem östlichen
Hohen Atlas, entstanden im Jahre 1645 unter dem Impuls der Zaouïa Dila.
Es gelingt Moulay Cherif die anderen Stammesführer zu besiegen und
er wurde zum Sultan des Tafilalets ausgerufen. Sein Tod führte jedoch zu Problemen ums Erbe und sein Sohn Moulay Rachid
flüchtete ins Todratal, derweil sein anderer Sohn, Moulay Mohamed in Rissani triumphierte.
|
Moulay Ismail
|
Ab dem Jahre 1693, kontrollierte Moulay Ismael das
ganze Territorium, nachdem er den starken Widerstand der Nomadenstämme aus dem Hohen Atlas mit Hilfe der
Bevölkerung aus dem Gebiet der Todra, Ferkla und Gheris gebrochen hatte. In der Folge kam das Todragebiet in die
Abhängigkeit des Gouverneurs von Rissani.
Jedoch nach dem Tod von Moulay Ismael im Jahre 1727 begann erneut der
Kampf um den Besitz der Vorsaharatäler zwischen den Ait Atta, den Ait Yafelmane und dem Alaouitenstaat von Fes,
der die meiste Zeit nur eine nominelle Herrschaft über diese Region hatte.
|
Moulay Slimane
|
1822 kam Moulay Slimane mit seiner Armee an und kampierte
auf dem Hügel Ighir n’Mehalt nahe beim Ksar Tinghir. Nach einer langen Kampagne und
nachdem er die Männer des Ksars El Hart n’laamine nach Meknes deportiert hatte, gelingt es ihm die Bewohner
des Tales zu unterwerfen und Steuern zu kassieren. Die inhaftierten Männer wurden einige Jahre später dank der
Intervention der Zaouia von Ouazzane, wieder freigelassen.
Während dieser Kampagne, noch bevor er im Todragebiet einmarschierte,
erwirkte Moulay Slimane die Unterwerfung des Stammes der Ait Merghad, die zum Stammesbund der Ait Yafelmane
gehörten. Er ernannte er einen gewissen, aus dem Mittleren Atlas stammenden Beni Hia als Kaid (örtlicher
Repräsentant der zentralen Staatsmacht), der sich im Ksar El Khorbet Oujdid (Ferkla) niederließ.
Gestärkt durch diese Unterstützung des Makhzen, eroberten die Ait Merghads gegen Mitte des 19 Jhdts.
zahlreiche Oasen.
|
Agoudim, ein Ksar der Ait Atta
Moulay Hassan
|
In der Folge schenkten die Bewohner der Todra den Ait Atta Ländereien
am Ausgang des Tales und die bauten hier etwa zehn Ksours, welche eine Barriere gegen die Angriffe der Nachbarn aus dem
Osten bildeten.
In einem dieser Ksours, in Tadafalt, übernachtete Charles de Foucauld 1884,
nachdem er vorher einen Aufenhalt im jüdischen Viertel von Taourirt n' Imzilen verbracht und den Montagsmarkt in
Tinghir besucht hatte.
" Die Kriege, -schrieb er-, woanders häufig, sind in Todra
an der Tagesordnung. So lässt man Vorsicht walten:
Jeder Ort liegt innerhalb einer Festungsmauer, die an allen Seiten mit „agueddims“ (Wachtürmen)
versehen ist. In der Zeit wo ich in Taourirt verweilte, war dieser qçar (Ksar)im Krieg mit seinem Nachbarn,
den Ait Ourjedal. Jeden Tag gab es Gewehrschüsse, die Fenster und kleinen Dachfenster wurden zugesperrt und man traute
sich nicht mehr auf die Terrasse, aus Angst als Zielscheibe zu dienen: Die beiden Lokalitäten stehen so nahe beieinander,
dass man sich, trotzt der kleinen Reichweite, gut erreichen konnte.“
Da die Nachkommen des Kaids Beni Hia refusierten Steuern an den Staat zu
zahlen, organisierte 1892 Moulay Hassan eine neue Expedition in die Region. Seine Armee besiegte die
aufständischen Aït Merghad von Ferkla und er ernannte einen neuen Kaid. In der Folge ließ er sich mit
seiner Armee ebenfalls auf dem Hügel Ighir n’Mehalt nieder und sie blieben bis zur totalen Unterwerfung und
der Nachzahlung der ganzen Steuern in der Region.
Von hier aus zog Moulay Hassan Richtung Marrakech. Während seiner
Durchreise in Telouet, wurde sehr gut vom Kaid El Madani El Glaoui empfangen und er verlieh ihm den Titel
des Kalifen der Glaoua, der Todra und des Tafilalet. Auf Grund dieser Nomination unternahmen die Brüder
El Madani und Thami El Glaoui im Mai 1900 erste Eroberungszüge in die Todra und ins Tafilalet, jedoch ohne großen
Erfolg.
|
Die Kasbah des Glaoui 1919
Truppenparade des Generals De Lamothe
Foum El Kous n'Tazoult
Ighrem Oujdid
Das Haus von Assou Bassalama in Taghia
|
Der Widerstand nach Einzug der Franzosen
Der zweite Versuch zur Machtübernahme der Glaoui begann im Juli 1918,
inzwischen zum Pascha von Marrakech aufgestiegen, war Thami El Glaoui einer der wichtigsten Kollaborateure des im Jahre 1912
etablierten französischen Protektorats. Er bestrafte die Ait Atta schwer, hingegen gelang es ihm nicht,
sie zu unterwerfen. Erst der dritte Versuch war erfolgreicher und im Januar 1919 begannen die Bauarbeiten zu einer
großen Kasbah auf dem Hügel Ighir n’Mehalt, dazu bestimmt die Ksours, die kapituliert hatten,
zu kontrollieren.
Am 2. Februar des gleichen Jahres fand in Tinghir eine
Truppenparade in Gegenwart des Generals De Lamothe statt, der dieses Unternehmen von Marrakech aus geleitet hatte.
Die meisten Stammesoberhäupter der Ait Todra schworen während dieser Zeremonie dem Sultan und dem französischen
Protektorat Treue; doch die Ait Atta weigerten sich teilzunehmen und sie lehnten sich mit der Unterstützung der Ait Merghad
aus Ferkla und anderen zu den Ait Atta gehörenden Stämmen aus dem Tafilalet auf. Denen war es gelungen, die
französische Armee aus diesem Gebiet zu vertreiben und einen unabhängigen Staat zu gründen. Der Ksar Tinghir wurde
von einem gewissen Kubaa gestürmt und geplündert und sogar die neue Kasbah wurde attackiert.
Um sich gegen diese Auflehnung zu widersetzten, begab sich Thami El Glaoui
mit seiner Armee erneut in die Region Todra. Die Unterdrückten versuchten ihm in Foum El Kous n’Tazoult, 15 km
vor Tinghir, den Weg abzuschneiden, sie wurden jedoch massakriert und die Ordnung im Tal war für ein langes Jahr wieder
hergestellt.
Im Februar 1920 wurde die Region Todra ein erneutes Mal von den Ait Merghad,
unter dem Kommando einer eigenartigen Person, von Ba Ali, angegriffen. Ba Ali war schwarzer Hautfarbe,
stammte aus der Region von Taghbalt und ihm war es gelungen als Abgeordneter von Belkacem Ngadi, ein Territorialherr
aus dem des Tafilalet, ganz Ferkla zu kontrollieren. Er ließ sich im alten Wohnsitz des ehemaligen Kaids Beni Hia
in El Khorbat nieder. In der Todra plünderten seine Männer eine große Anzahl, dem Glaoui unterworfene
Ksours und Andere, wie Hart n’Iaamine, stellten sich an seine Seite.
Thami El Galoui unternahm nun seinen vierten Angriff auf die Todra mit
einer Armee von 8.000 Mann und sechs berggängigen Kanonen. Ba Ali versuchte wieder ihm die Strasse in Foum El Kous
n’Tazoult abzuschneiden, aber seine Krieger von den Kanonen am 31.Juli 1920 in die Flucht getrieben, wurden von der
Kavallerie des Glaoui bis nach Ait El Fersi verfolgt. Dieses Mal, mit der Nomination von Said Ou Laid Ou Tifnout zum
Kalifen des Glaoui in Tinghir, stabilisierte sich die Situation für längere Zeit, trotz des Widerstandes der
Ait Atta und vor allem der Illamchane unter der Führung ihres Oberhauptes Assou Ou Bassalam, aus dem
Ksar Taghia stammend.
Im Jahre 1926 wurden etwa 20, dem Glaoui trotzende Familien aus Tinghir
vetrieben. Sie gründeten ganz in der Nähe einen neuen Ksar, mit dem Namen Igherm Oujdid. Um
sie besser unter Kontrolle zu haben, ließ sich der Vertreter des Glaoui in der Region, Mohadach Ou l’Haj
Faska innerhalb dieses Ksars ein Haus bauen.
Im Jahre 1927 wurde noch mehr Widerstand geleistet als vorher und die
Kasbah des Glaoui wurde belagert. 1929 hielten nur noch der Ksar Tinghir und etwa 10 umliegende Ksars dem Kalifen Said
Ou Laid Ou Tifnout die Treue.
Die Situation änderte sich mit der direkten Intervention der
französischen Armee 1931. Gegen Mitte dieses Jahres blieb Taghia n’Illamchane der einzige Ksar in der Todra,
der sich noch widersetzte. Von hier aus zogen sich die Männer von Assou Ou Bassalam 1932 ins Saghro Gebirge zurück,
wo sie am 25. März 1933 nach der Schlacht von Bou Gaffer kapitulierten.
|
Büro für einheimische Angelegenheiten
|
Vom Protektorat zur Unabhängigkeit
Ab diesem Moment wurde Tinghir das administrative Zentrum des Todratals.
Ein Büro für einheimische Angelegenheiten (heute Sitz des Paschas) und andere Gebäude wurden in der
Nähe des Ksars gebaut. Auch die Kasbah des Glaoui wurde vergrössert und nebenan auf dem Hügel entstand
eine Kaserne.
|
Kasbah vom Scheich Bassou Ou Ali
Tinghir heute
|
Zu diesem Zeitpunkt lebten in Tinghir etwa 300 Familien auf drei verschiedene
Ortsteile verteilt: Ihartane, Ait El Haj Ali und Ait Barra. Zwischen den beiden Ersten gab es eine Mellah (jüdisches
Viertel) mit 70 Haushalten.
Im Jahre 1944 war Scheich Bassou Ou Ali der Ait Barra der Erste, der sich
ein Wohnhaus außerhalb des Ksars bauen ließ: eine Kasbah, das heutige Hotel Tomboctou. Andere Familien folgten
später diesem Vorbild. Die große Entwicklung der Stadt kam jedoch erst später in den 70er Jahren, dank der
erhaltenen Geldüberweisungen von den, nach Frankreich ausgewanderten Bürgern. Ein paar Jahre vorher hatte die
jüdische Bevölkerung Tinghirs das Land verlassen, wie übrigens die Mehrheit der marokkanischen Juden.
Zur Stadtgemeinde erhoben, erreichte Tinghir 1990 etwa 30.000 Einwohner.
Seit dem Jahre 2009 ist sie auch Provinzhauptstadt.
|
|
|